Eine junge Frau. Sie hat Übergriffe in einer früheren Partnerschaft erlebt und seitdem mit Alpträumen und Flashbacks zu tun. Wir arbeiten seit eineinhalb Jahren zusammen. Sie kommt an den Punkt, wo sie sich mit dem Täter auseinander setzen will (in der Therapie).
Wir haben dafür keinen Plan. Aber wir haben miteinander gute Erfahrungen gemacht, uns spielerisch-improvisiert ihren Themen anzunähern. Also tun wir das auch jetzt, wenn es um Aspekte der Trauma-Konfrontation geht.
Sie sucht eine Mitklientin für den Täter aus. Diese schicken wir vor die Tür. Eine weitere Klientin setzen wir auf die Innenseite der Tür in den Raum. Ich gebe dieser Klientin die Anweisung, die Tür halb zu öffnen, wobei wichtig ist, dass dabei die Person außerhalb des Raums nicht zu sehen ist. Die junge Frau reagiert sogleich. Es wird in ihr eng. Ich gebe die Anweisung, die Tür wieder zu schließen. Sofort kann sich die Frau entspannen. Erneut lassen wir die Tür öffnen und schließen. Die gleiche Reaktion. Die Frau sagt, sie würde gerne selber sagen, wann die Tür geöffnet und wann sie geschlossen wird. So machen wir es dann. Mehrmals. Es fühlt sich für die Frau gut an. Ein Moment der Selbstbestimmung – vor dem Hintergrund und im Kontext einer traumatischen Erfahrung.
Direkt danach schildert eine andere Frau, dass sie an diesem Tag der ambulanten Theatertherapie mehrfach einen emotionalen Zusammenbruch erlebt hat. Sie möchte damit arbeiten. Ich frage, ob es eher darum gehen soll, wie sie in die aktuelle Krise hineingekommen ist oder wie sie wieder herauskommt. Sie entscheidet sich für das Zweite. Also gehen wir an den Moment, an dem die Krise (am Tag zuvor) schon stark spürbar war, aber noch nicht so weit fortgeschritten, dass ein Aussteigen unmöglich erscheint.
Sie beschreibt eine mehrstündige Autofahrt, die Rückfahrt nach schönen Erlebnissen wieder zurück nach Hause in den Alltag. Je näher sie dem Zuhause kam, desto stärker wurde die krisenhaften Gefühle.
Wir bauen nun ein Auto auf die Bühne, eine Mitklientin spielt die Protagonistin. Wir finden schnell heraus, dass auf der Rückbank ihr Über-Ich sitzt, dass ihr predigt, der Spaß wäre nun vorbei, jetzt komme wieder der Ernst des Lebens und das sei auch gut so. Dann wird deutlich, dass in dem Auto (imaginär) auch noch ein Mann sitzt, zu dem sich die Frau eine intensive Beziehung wünscht (sie hat ihn auf der kleinen Reise besucht). Außerdem sagt sie bald etwas zerknirscht, wären da noch zwei weitere Männer, die in ihrem Leben gerade eine Rolle spielen, die wir nun auch mit ins Auto stopfen (mit einem hat sie auf der Rückfahrt lange telefoniert). Ihr (die ein hochemotionales Wesen ist) wird klar, dass sie sich massiv überfordert hat. Das Über-Ich hat es dazu auch noch leicht und wirft ihr moralisches Versagen vor.
So sind wir durch das Spielen doch bei dem Auslöser für die aktuelle Krise gelandet.
Es gibt einige wichtige Aspekte, die in der „Intuitiven Theatertherapie“ eine Rolle spielen und die vielfältig in diesem Buch beschrieben werden. Aber einer ist dabei sehr zentral und in dieser Konsequenz neu: Spielerische Improvisation als elementarer Bestandteil eines intensiven psychotherapeutischen Prozesses.
In beiden oben geschilderten Situationen hat sich das therapeutische Geschehen ungeplant aus dem Moment entwickelt. In der ersten Arbeit war es hauptsächlich das Bild mit der Tür, dass als Idee entstand. Die weiteren Schritte waren wegen der heiklen Thematik kleinschrittig, aber auch frei in der Entwicklung. So konnte in der Klientin der Wunsch entstehen, selbst zur Bestimmerin der Szenerie zu werden.
Bei der zweiten Session haben wir einfach mit dem Auto drauflos gespielt und kamen somit in einen offenen Prozess, in dem wir am Ende woanders landeten, als gedacht (was aber für die Klientin sehr erkenntnisreich war).
Ich wusste als Therapeut in keiner der beiden Situationen, wie sie verlaufen werden. Ich gehe mit den Klientinnen in einen offenen Raum, in dem wir (manchmal gemeinsam, manchmal mehr von den Klientinnen, manchmal mehr von mir initiiert) auf der therapeutischen Bühne eine eigene Welt für diesen Moment erschaffen, der fast jedes Mal neu und einzigartig ist.
Der Titel des Buches „Ich habe keine Ahnung, was passieren wird!“ gilt demnach sowohl für den/die Therapeutin als auch für die Klienten. Wir starten mit einer Fragestellung oder mit einem Problem und dann entwickelt sich auf der therapeutischen Bühne eine improvisierte Szenerie.
Das heißt, die spielerische Improvisation ist zugleich eine therapeutische Haltung als auch methodisches Vorgehen.
Frau U. beschreibt es auf Seite xxx mit folgenden Worten: „Man weiß zu Beginn der Theatertherapiestunde nicht, was am Ende herauskommt. Der Verlauf ist nicht plan- oder vorhersehbar.“
Dieser Ansatz hat sich in meiner Arbeit der letzten fünfundzwanzig Jahre immer mehr herauskristallisiert. Eine Methode, die es ermöglicht, dass wir im gemeinsamen Prozess zu Schritten und Lösungen finden, die nicht im Kopf, nicht in der Planung, sondern wie im Impro-Theater im Moment und im Erleben geschehen.
Diese offene Vorgehensweise schafft einen Freiraum für alle Beteiligten, der es oft ermöglicht, an Punkte, Erkenntnisse und Erfahrungen zu kommen, die zuvor meistens kaum möglich erschienen. Der Erfolg dieser Methode ist so groß, dass ich mich entschieden habe, darüber zu schreiben und dieses Wissen an andere Menschen weiterzugeben.
Dabei ist eines wichtig: Wer dieses Buch liest, lernt den Ansatz kennen. Und zwar ähnlich, wie es in der praktischen Arbeit ist, als Erfahrung, nicht als Systematik. Es ist mehr eine Geschichte, ein Erlebnisbericht verknüpft mit Gedanken zum therapeutischen Arbeiten. Und manchmal auch zum Leben. Es ist kein wissenschaftliches Lehrbuch. Nach dem Lesen werden Sie nicht mit der Methode arbeiten können. Dieses ist nur möglich, wenn sie selbst erfahren und gelernt wird.
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